“Wie beobachtet man Pakistan?” (How to observe Pakistan) – Interview mit/with Peter Fuchs (German/English)

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Der Beobachterbegriff spielt für Deine Arbeit eine wichtige Rolle. Warum?

Einmal deswegen, weil er die Selbstreferenz der Theorie zu modellieren gestattet. Ich kann mitbeobachten, wie Beobachtung beobachtet, also auch wie die Theorie Beobachtung beobachtet, und dann formulieren, dass diese Theorie Beobachtungen produziert, deren Form aber ihr selbst zugrundeliegt. Sie ist, könnte man auch sagen, nicht an einem ontologischen Haken, an einem Logos aufgehängt – und sie kann dieses Nicht-Aufgehängt-sein noch in die Form einer Beobachtung dritter Ordnung bringen, also kognitive Demut zur Verfügung stellen. Interessant ist andererseits auch, dass man mit dem Begriff in praktischer Hinsicht allerlei leisten kann. Beobachtung zweiter Ordnung ist ein probates Distanzierungsmittel in professionellen Kontexten.

Wie hast Du beobachtet, bevor Du mit Hilfe des Beobachterbegriffs beobachtest hast?

“Einfach so”, wie meine Gattin sagen würde.

Was ist neu an dieser Idee? Dass wir die Welt, die wir beobachten, selbst konstruieren, weiß man doch spätestens seit Kant.

Spätestens, ja, aber die Idee ist weitaus älter, Du entdeckst sie bei Heraklit, Aristoteles und Plato über die Skeptiker hinaus, in der Mystik, der negativen Theologie, aber auch in den aufkommenden Naturwissenschaften, etwa bei Newton. Das Paradigma scheint mir am schönsten bezeichnet im platonischen Höhlengleichnis. Eine Abweichung findet sich in der Theorie der Sinnsysteme darin, dass das Beobachten kein Subjekt mehr hat, das ‘beobachten tut’. Nichts liegt darunter, nichts steckt dahinter. Der Beobachter wird zum Problem, er muß selbst beobachtet werden, und so geraten wir denn in wundervolle Tautologien und Paradoxien: Das Beobachten beobachtet das Beobachten, das Beobachten beobachtet … Aber das macht die intellektuelle Faszination solcher Theorien aus, für mich jedenfalls, der ich kniffelige Probleme schätze.

Diese Webseite versteht sich unter anderem als Alternative zu den Beobachtungen der Massenmedien. Kannst Du deren Beobachtungsweise kurz skizzieren?

Sie beruht wesentlich auf Sensationismus und nur zu minimalen Teilen auf solider Informativität. Das Fatale ist, dass das System der Massenmedien als System der Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung der Gesellschaft in Betrieb ist. Das heißt, es gibt über die Gesellschaft keine wahren Nachrichten oder: nur Nachrichten, die dann als Selektionen imponieren, die dem Sensationismus, der Notwendigkeit, Aufmerksamkeit zu erzwingen, genügen müssen. Die Gesellschaft ist ein Konvolut von Nachrichten, die wir zur Kenntnis nehmen, ohne dabei die geringste Information über DIE Gesellschaft zu gewinnen. Man soll sich hüten, den Massenmedien aufzusitzen.

Wenn man einerseits Pakistan beobachten und andererseits beobachten will, wie Pakistan beobachtet – was gilt es dabei zu beachten?

Eine Menge. Pakistan ist nicht beobachtbar und beobachtet auch nichts, denn um so formulieren zu können, müßte eine Art Adresse unterstellt werden, die für das ‚Phänomen‘ Pakistan einsteht. Pakistan hat aber keine Adresse, ich kann nicht an Pakistan schreiben und Pakistan auch nicht an mich. Daraus folgt dann, dass es Organisationen gibt, die das Nicht-Beobachtbare (Pakistan) repräsentieren oder vertreten. All das gilt natürlich auch für Deutschland, für England, für die Schweiz. Will man Pakistan beobachten, muß man demnach Butter bei die Fische tun und Roß und Reiter nennen: Und dann findet man eben Organisationen. Der Rest sind Imaginationen, Phantasmen, Mythen, Erzählungen, Narrative, die aber für entsprechend eingestellte Beobachtungen interessant werden, die beispielsweise ansetzen können an den Unterscheidungen, die durch die Sprache inszeniert werden.

Wie beobachtest Du Pakistan?

Pakistan ist für mich ein fernes Land, über das es in den Nachrichten, in den Feuilletons, in Fernsehberichten, Unterhaltungsfilmen, Kultur-, Kunst- und Geschichtsbüchern einige Informationen gibt, die mit ihrer Ontologie selten erträglich sind. Es wäre ganz spannend, all diese Berichte und Einschätzungen nun wirklich gegenzubeobachten: ein wundervolles Projekt, das zudem Kontingenz einführen würde. Aber: Ich war nie in Pakistan, und wäre ich dort, wäre ich doch nur in den Bildern, die man mir gab – zum Beispiel in den Filmsequenzen, die Du mir über das Strassenleben dortzulande geschickt hast.

Gibt es für Dich ein typisch westliches Beobachten?

Westliche Beobachter sind ein Artefakt von Massenmedien. Man kann sich ja schnell darauf verständigen, dass solche Zurechnungen einer geographischen Metapher aufsitzen, denn Westen, Osten, Süden, Westen liegen ja nicht in der Gegend herum. Aus diesem Grund plädiere ich dafür, diese räumlichen Kategorien als Simplifikationen aufzufassen, als grobe Vereinfachungen der Verhältnisse, die sich unter Bedingungen funktionaler Differenzierung kaum halten lassen. Ich würde den ‚Westen‘ aus dem Spiel nehmen. Er ist mittlerweile eine Katachrese, eine heruntergekommene Metapher, die von Hinz und Kunz eingesetzt werden. Freud würde, wie Du weißt, von Projektionen einer Oberfläche reden. Ich plädiere dafür, solche Katachresen aufzulösen.

Deine Theorie hält sich mit Ratschlägen gern zurück. Dennoch: Was kann man tun, um die sogenannte ‚tödliche Spirale‘ der Gewalt zu beenden? In Pakistan genauso wie in Israel?

Tatsächlich … Ratschläge lieber nicht in einer hyperkomplexen Welt! Aber da haben wir schon die Welt und die Weltgesellschaft, in der furchtbare Gewalt überall präsent ist, und wenn irgendwo nicht, jederzeit wieder präsent werden könnte – und überall in der gleichen Form. Im übrigen beendet man ‚tödliche Spiralen der Gewalt‘ im Normalfall mit Gegengewalt. Diese Generalisierung verweist auf einen tieferliegenden Mechanismus, den wir ‚symbiotisch‘ nennen. In aller Kürze: Gewalt ist ein auf Körper bezogener Krisenindikator, und solche Indikatoren sind längst nicht mehr einschränkbar auf bestimmte Länder wie Pakistan und Israel, die man kaum als Sonderfälle beschreiben könnte: Gewalt ist Gewalt ist Gewalt … weltweit und wenig spezifizierbar. Vielleicht wäre es gut, wenn man Pakistan als Moment der Weltgesellschaft beobachten würde und nicht mehr als kuriose Singularität.

Viele Beobachter sind überzeugt, dass die ökonomische Schwäche des Landes auf das mangelhafte Bildungssystem zurückgeht. Bessere Bildung führt dann zu einer besseren Ökonomie. Wie siehst Du das?

Es bringt nichts, von lokalen Ökonomien zu sprechen. Ich würde auch einkalkulieren, dass Bildung ein typisch humanistisch geprägtes Wort ist.  Es geht doch im Kern nur um Lesen, Schreiben, Rechnen, Fremdsprachen, Technik …, über die man in einer agrarisch geprägten Sozialformation nicht allenthalben verfügen musste, wohl aber in einer funktional differenzierten Weltgesellschaft, in der die Länder, die Staaten nur Segmente sind mit regionalen Eigentümlichkeiten.

Du hast einmal gesagt, die Welt sei unheilbar. Das enthebt einen aber nicht der Verantwortung, oder? Was also kann man tun?

Ich denke, dass Kategorien wie Verantwortung, aber auch Gerechtigkeit in der Moderne umbestimmt, umgeschrieben, umbeobachtet werden müssen, nicht: gelöscht.

Und was könnte Pakistan tun?

Nichts, es wird, was immer es sein mag, in der Evolution herumgewirbelt. Ich könnte allenfalls sagen, es wäre nicht schlecht, sich auf komplexe Theorien einzulassen. Aber das sage ich natürlich auch: pro domo.

 

English translation (excerpts)

The concept of observation plays an important role in your work. Why?

One reason is because it allows to model the self-reference of the theory. I’m able to co-observe how observation observes, including how the theory observes observation, and then to formulate that this theory produces forms of observation which at the same time serve as its foundation. It does not depend on an ‘ontological hook’, a ‘logos’ – but it can still bring this non-ontology in the form of a third-order observation, and by doing that, it makes cognitive humility available. It is interesting though that this concept is also applicable in practical terms. Second-order observation is an effective means of creating distance in professional contexts.

What is new about this idea? At least since Kant we’re aware of constructing the world we observe ourselves.

At the latest, yes, but the idea is much older, you will discover it in Heraclitus, Aristotle and Plato beyond the skeptics, in the mysticism of negative theology, but also in the emerging science, such as Newton. The paradigm seems to me Plato’s most beautiful cave allegory. A deviation can be found in the theory of systems of meaning, the idea that the observation has no subject any longer which is processing the observation. Nothing is behind it. Observation becomes a problem, it must itself be observed, which is why we find ourselves caught up in wonderful tautologies and paradoxes: Observation is observing observations that observe observations … But that’s why I’m intellectually fascinated by these theories. I guess I like tricky problems.

This website understands itself, among other things, as an alternative to the observations of the mass media. Can you briefly outline their way of observation?

It is based essentially on sensationism and only minimally on solid informativeness. Unfortunately, the system of the mass media is a system of self-observation and self-description of our society. That is, there are no true news, only messages that then appear as selections that are forced to reproduce sensations, that have to satisfy this need for attention. Our society can be seen as a pool of messages that we’re constantly getting without gaining the slightest information about THE society. One should be careful to trust the mass media.

If I want to observe Pakistan as well as observe this observation, what should I consider?

A lot. Pakistan is not observable and it also observes nothing, because in order to formulate this, we would need a kind of address which is responsible for that phenomenon we call ‘Pakistan’. But Pakistan has no address, I cannot even write to Pakistan and Pakistan cannot write to me. The only addresses we have are organizations that represent or have been representing the non-observable – Pakistan. All this is true for Germany, England, Switzerland, too. If you want to observe Pakistan, you have to name names. And what you find are organizations. The rest are imaginations, fantasies, myths, stories, narratives one can use for correspondingly adjusted observations, for instance by looking at distinctions produced by the language.

Interview: Markus Heidingsfelder